
Diesen Sonntag ist Bundestagswahl. Viele erklärten die Wahl in den letzten Monaten zur „Klimawahl“.[1] „Jetzt werden die Weichen gestellt“, „Es ist unsere letzte Chance“, „Diese Wahl entscheidet über unsere Zukunft“ – hieß es dabei häufig. Und natürlich ist das nicht gänzlich falsch: Der aktuelle Bericht des Weltklimarats zeigt, wir steuern geradewegs auf 3 °C oder sogar 4 °C Erderwärmung zu, wenn wir die CO2-Emissionen nicht sofort massiv herunterfahren. Die Waldbrände, die überschwemmten Landstriche, die zunehmend ausgelaugten Böden und die Hitzewellen der letzten Jahre waren nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte. Dennoch: die kommende Bundestagswahl ist keine Klimawahl! Keines der Parteiprogramme geht weit genug, damit die 1,5 °C Grenze des Pariser Klimaabkommens noch eingehalten werden könnte.
Die Klimakatastrophe lässt sich nicht parlamentarisch abwählen
Die Wahl als einen entscheidenden Schritt im Kampf gegen die Klimaerwärmung zu propagieren sendet ein völlig falsches Signal und ist keine Strategie, auf die wir setzen sollten. Wir sagen: die drohende Klimakatastrophe lässt sich nicht parlamentarisch abwählen! Wir brauchen einen gemeinsamen Kampf von Klima- und Arbeiter:innenbewegung, von Umweltaktivist:innen und Beschäftigten. Nur so haben wir noch eine Chance das schlimmste abzuwenden. Nur so können wir die Kraft aufbringen uns mit den Wirtschaftsinteressen anzulegen, die ihre Profite auf Kosten der Menschen und der Natur machen und mit ihren Geschäftsmodellen diese Welt in den Abgrund reißen.
Wir fordern einen sofortigen Umbau und partiellen Rückbau der Industrie und einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien und Katastrophenschutzmaßnahmen. Es muss ein Umdenken in allen Bereichen unseres Lebens geben: Wie wir wohnen, wie wir arbeiten und wie wir mobil sind. Wir fordern im Geiste internationaler Solidarität eine Umverteilung von finanziellen Mitteln und Technologien zugunsten der ärmeren Länder dieser Welt, vor allem im Globalen Süden. Wir müssen alle gesellschaftlichen Ressourcen auf eine solche Transformation aufwenden und aufhören mit dem ewigen „Weiter so wie bisher“. Wir sagen: der irrwitzige Zwang zur Kapitalakkumulation und zum Wirtschaftswachstum muss aufhören!
Ein Kampf gegen Windmühlen
Natürlich unterscheiden sich die Parteien stark voneinander. Während sich einige darum streiten, wie hoch eine CO2-Steuer sein soll, die v.a. sozial schwache Haushalte belasten könnte, ringen andere um das genaue Datum des Kohleausstiegs. Dabei spielen einige die Dramatik herunter – die AfD leugnet sogar den Einfluss der Menschheit auf den Klimawandel – während andere sich als pragmatische Retter inszenieren, die durch eine grüne Modernisierung den Wirtschaftsstandort BRD absichern. Das ist kein bisschen Klimaschutz!
„Hier ein bisschen an der Preisschraube gedreht, dort ein paar wirtschaftliche Anreize geschaffen und schon sind wir wieder auf der Spur“. Nein! Das Problem ist viel zu groß und die Bedrohung zu nah, als dass solche Maßnahmen reichen würden. Wir kämpfen einen Kampf gegen Windmühlen und riskieren eine Zerreißprobe für den sozialen Zusammenhalt, wenn wir denken, mit solchen Maßnahmen und einer Wahl wäre es getan. Einen grünen, wirklich nachhaltigen Kapitalismus wird es niemals geben können. Und doch wird immer wieder diese Quadratur des Kreises behauptet. Statt die Produktion endlich demokratisch und ökologisch zu gestalten, versucht man das Kaufverhalten der Konsument:innen über CO2-Steuern zu beeinflussen. Doch eine CO2-Bepreisung ist in der Praxis entweder so niedrig, dass sie keinen Effekt erzielt oder so hoch angelegt, dass sie einen Konsumverzicht erzwingt, der zwangsläufig extrem ungerecht verteilt ist und damit kaum Akzeptanz für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen schaffen wird.
Die eigentlichen, strukturellen Probleme werden dabei jedoch ausgeklammert. Kaum jemand spricht von jenen, die von der Umweltzerstörung profitieren. Dabei sind sie es, die wir im Angesicht der Umweltzerstörung und des Wachstumswahns zur Kasse bitten sollten. Denen wir die Kontrolle über die Wirtschaft nehmen müssen. Es sind Aktionär:innen, Eigentümer:innen, Banken, Fonds, Unternehmen und die Konzerne, die auf die Bremse drücken und das tote Pferd so lange reiten, bis es uns alle in den Abgrund reißt. Wir müssen die Wirtschaft und den Profitzwang in das Zentrum unserer Kritik und unseres Handelns stellen.
Das Problem ist längst bekannt
Gerade die Fridays for Future (FFF) Bewegung hat darauf hingewiesen, dass keines der Wahlprogramme uns auf einem 1,5 °C-Niveau halten kann. Wir sollten uns keine Illusion davon machen. Jedoch ist es kein Zufall, dass der Klimastreik gerade jetzt stattfand, so kurz vor den Wahlen. Seit mehr als 3 Jahren streiken Millionen von Schüler:innen weltweit. Es gab Demonstrationen auf allen Kontinenten. Durch FFF ist der Klimawandel, der Klimaschutz und die Klimakatastrophe ein fester Bestandteil aller öffentlichen Debatten geworden. Und gerade deshalb buhlen Parteien auch um ihre Gunst, auch wenn nichts von ihnen zu erwarten ist.
Trotzdem appellieren viele Umweltgruppen an den Staat und die Politik „endlich zu handeln“ und „Verantwortung zu übernehmen“. Doch problematisieren reicht nicht. Schon in den 1970er Jahren gab es eindringliche Warnungen vor den irreversiblen Folgen der Zerstörung der Ökosysteme. Auch damals gab es schon Umweltbewegungen, die für dieselben und ähnliche Ziele gekämpft haben wie wir heute. Der Vorschlag der herrschenden Politik war derselbe wie heute: systemimmanente Steuerungsmaßnahmen, es wurde auf den Markt gesetzt, der die ökologischen Kosten der kapitalistischen Produktion einfach einpreisen sollte und es wurde die Hoffnung auf technologische Innovationen gesetzt. Schon der berühmte Erdgipfel der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro wollte Wirtschaftswachstum und Entwicklung mit Nachhaltigkeit versöhnen. Das alles hat es schon einmal gegeben. Und währenddessen die Politik nach faulen Kompromissen suchte, schritt die kapitalistische Umweltzerstörung seither ungebremst voran. Weltweit haben die CO2-Emissionen seit 1990 um 60 Prozent zugenommen. Die Ideen, die uns heute als Heilsbringer verkauft werden, sind im Großen und Ganzen die offizielle Umweltpolitik seit über 30 Jahren. Das zeigt, die Politik und die Staaten sind gescheitert.
Wir verlieren Zeit, die wir nicht haben
Die Appelle an die kleinen Schritte und an die Versöhnung von Kapitalismus und Umwelt sind kaum weniger gefährlich als die Leugnung des menschengemachten Klimawandels. Diese Appelle blockieren uns – wir verlieren Zeit, die wir eigentlich nicht mehr haben. Wir können so viel appellieren, schreien und tanzen wie wir wollen: die Staaten und die bürgerliche Politik werden das Ruder nicht herumreißen. Sie können es nicht. Selbstverständlich ist es nicht egal, ob wir morgen oder erst 2038 aus der Kohle aussteigen. Und selbstverständlich müssen wir weiter Druck auf die Politik ausüben, um auch die kleinen Verbesserungen anzugehen. Doch machen wir uns keine Illusion von der Politik und diesem Staat, die ökologisch notwendige Transformation sozial gerecht und mit der nötigen Geschwindigkeit und Tiefe angehen zu können. Dafür müsste sich die Politik mit dem Allerheiligsten dieser Gesellschaft anlegen: dem Privateigentum an Produktionsmitteln, während wir nichts außer unsere Arbeitskraft haben, die wir zum Überleben verkaufen müssen. Die Hauptaufgabe des Staates ist es, diese Eigentumsverhältnisse zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und der Unternehmen zu steigern.
Es gibt Hoffnung
Doch können wir nichts machen? Ist die Lage aussichtslos? Nein! Wir können anfangen eine echte Gegenmacht aufzubauen, auf der Straße und in den Betrieben: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, so die berühmte Parole der Arbeiter:innenbewegung. Der GDL-Streik hat gezeigt, man muss und kann Unternehmen da treffen, wo es weh tut: beim Profit und Gewinn. Vieles kann durchgesetzt werden, wenn man geschlossen zusammensteht und kämpft. Auch der Kampf zur Erhaltung des BOSCH-Werks in Berg am Laim, bei München um die Umstellung auf klimafreundliche Produkte macht es vor: als Klimaaktivist:innen müssen wir gemeinsam mit Beschäftigten kämpfen, gegen den Klimawandel und für gute umweltfreundliche Arbeitsplätze. Dafür müssen wir uns mit den Reichen und den Mächtigen anlegen. Wir erklären uns solidarisch mit der Initiative Klimaschutz und Klassenkampf, mit den Bosch-Beschäftigten in Berg am Laim und den Klimaaktivist:innen: Ihr seid nicht alleine, eure Forderungen sind gerechtfertigt und ihr macht uns Mut!
Eine starke Allianz zwischen Klima- und Arbeiter:innenbewegung für den Systemwandel
Nur eine Zusammenführung der Klima- und Arbeiter:innenbewegung ermöglicht es uns, das Problem an der Wurzel zu packen, breite demokratische Zustimmung unter allen Beschäftigten zu erreichen und die Macht aufzubringen, die eine echte nachhaltige und soziale Gesellschaft gegen die Bremser, die Konzerne und die Sonntagsredner:innen auch durchzusetzen. Dabei müssen wir behutsam vorgehen, damit wir eine nachhaltige und starke Allianz schaffen, statt uns nur auf symbolische Großaktionen zu beschränken.
Das bedeutet, dass wir für eine bedürfnisorientierte und gegen eine profitgetriebene Produktion, für nachhaltige und gut bezahlte Arbeitsplätze und für umfassende Sofortmaßnahmen für den Klimaschutz kämpfen müssen – im Interesse der Natur und der Arbeiter:innen weltweit. Lasst uns die Parole System Change not Climate Change ernst nehmen und sie von einem Appell zu einer Bewegung werden zu lassen.
[1] Diesen Blogbeitrag haben wir in leicht gekürzter Form am 24.09.21 auf dem globalen Klimastreik in Jena gehalten.