Ein Bericht zum Austausch mit Beschäftigten und Fahrgästen des Jenaer ÖPNVs im Rahmen der bundesweiten TV-N Kampagne #wirfahrenzusammen

Raus zum Klima- und ÖPNV-Streik
Zum Klimastreik am 03.03.2023 sind in insgesamt sechs Bundesländern zahlreiche Klimaaktivist:innen gemeinsam mit Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und ver.di auf die Straße gegangen, um für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu kämpfen. Auch wenn in Thüringen nicht im ÖPNV gestreikt wurde, haben wir von Klima und Klasse zusammen mit weiteren Aktivist:innen der #wirfahrenzusammen-Kampagne in Jena die Zeit genutzt und waren unterwegs, um mit Beschäftigten der Jenaer Verkehrsbetriebe (Jenah) und Fahrgästen ins Gespräch zu kommen.
Sorgenkind ÖPNV – was gut für die Beschäftigten ist, ist gut für die Mobilitätswende
Jahr für Jahr muss das Argument, die kommunalen Kassen sind klamm, herhalten, um die chronische Unterfinanzierung und den Personalmangel im ÖPNV zu rechtfertigen. Zusätzlich zu den schlechten Arbeitsbedingungen kämpfen die Beschäftigten seit Jahren mit zu niedrigen Löhnen. Mit der aktuell hohen Inflation und überall steigenden Lebenshaltungskosten verschärft sich die Situation für sie immer weiter, aufgrund des tatsächlichen Reallohnverlustes.
Im kommenden Jahr steht die bundesweite Tarifrunde im Nahverkehr (TV-N 2024) an. Wir wollen die Bus- und Bahnfahrer:innen in ihrem Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen unterstützen, da wir finden, die Forderungen der Beschäftigten sind mehr als gerechtfertigt. Außerdem ist klar: Eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Mobilitätswende kann nur mit ihnen und niemals gegen sie gelingen. Sie sind im wahrsten Sinne Klimaschutzarbeiter:innen. Deshalb suchen wir, wie viele andere Aktivist:innen der Klimabewegung in zahlreichen deutschen Städten, in der kommenden Tarifrunde im ÖPNV den Schulterschluss mit den Beschäftigten.
Seit Jahren wird der Verkehrssektor in der bürgerlichen Presse als das klimapolitische Sorgenkind der Bundesregierung bezeichnet – ganz so, als hätte man die Verkehrspolitik, die Stadt- und Wegeplanung nicht wissentlich jahrzehntelang primär auf den motorisierten Individualverkehr und die Interessen der Autokonzerne ausgerichtet. Eine Abkehr von der fossil-kapitalistischen Infrastruktur ist dadurch nicht ohne weiteres möglich. Der kaputt gesparte ÖPNV lässt sich allerdings nicht nur verkehrspolitisch begründen. Stattdessen reiht sich der Sektor in eine Reihe von unterfinanzierten Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge ein, in denen es in den letzten Jahren und Monaten ebenfalls verstärkt zu Tarifkämpfen gekommen ist. Man denke dabei beispielsweise an die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich: Während Corona noch als Held:innen gefeiert, hat sich diese Anerkennung weder in substanziell höheren Löhnen noch einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen niedergeschlagen.
Für die Demokratisierung und öffentliche Finanzierung des ÖPNVs
Das Festhalten an der “Schwarzen Null” ist das Produkt eines jahrzehntelang hartnäckig zementierten Bildes, dss die öffentlichen Haushalte immer wieder als verschwenderisch im Umgang mit Steuergeldern darstellt. Das ist natürlich zynisch, wenn man bedenkt, dass wir eigentlich mehr von systemrelevanten Arbeiter:innen brauchen, damit Kindern eine gute Schulbildung vermitteln werden kann, unsere Abfälle abtransportiert werden, unsere Angehörigen und Freunde gepflegt werden – oder damit wir eben tagtäglich sicher von A nach B kommen. Tatsächlich müssten diese gesellschaftlich besonders wichtigen Bereiche erhalten, ausgebaut und perspektivisch unter die demokratische Kontrolle all jener gestellt werden, die diese Tätigkeiten verrichten und sie in Anspruch nehmen. Statt immer mehr Privatisierung braucht es eine nachhaltige öffentliche Finanzierung.
Geteilte Dienste, kurze Schichtwechsel, niedrige Löhne vs. grundsätzliche Zufriedenheit: Von den Schilderungen der Beschäftigten lernen
Um den Beschäftigten im Nahverkehr zukünftig den Rücken stärken zu können, haben wir uns in Jena an zwei Aktionen beteiligt: An der Wendeschleife in Burgau waren wir gemeinsam mit ver.di mit einem Stand vertreten und haben bei Kaffee und Brötchen mit den Kolleg:innen über ihre Sorgen, Nöte und Forderungen diskutiert. Dabei kamen auch Vorschläge zur Verbesserung der aktuellen Beschäftigungssituation und auch die Freude am Beruf zur Sprache. Es gab unterschiedliche Einschätzungen zu den Arbeitsbedingungen und der Frage nach einer gerechten Entlohnung, einige Themen sind jedoch wiederholt aufgekommen: Mitunter müssen die Beschäftigten sog. geteilte Dienste fahren. Das kann bedeuten, dass sie z.B. morgens vier Stunden fahren und abends nochmal vier. In der Zwischenzeit haben sie frei und werden nicht bezahlt. Für Kolleg:innen, die außerhalb der Stadt wohnen, kann dies bedeuten, dass sie mehrere Stunden irgendwo festsitzen ohne nach Hause fahren zu können. Ein Fahrer hat uns davon berichtet, dass es häufiger passiert, dass es zu kurzen Schichtwechseln kommt, d.h. dass Beschäftigte aus einer Spätschicht kommen und sofort morgens wieder zum Dienst antreten müssen. Das wird von einigen Kolleg:innen als große Belastung wahrgenommen, die sich auch auf ihre Gesundheit niederschlägt. Ein Beschäftigter berichtete uns sogar, dass viele Kolleg:innen nur mit Schmerzmitteln „funktionieren“. Häufiger wurde auch der Personalmangel, die stagnierenden Löhne und die dichte Taktung problematisiert. Mit einigen Fahrer:innen konnten wir sogar Gründe für eine Verkehrswende aus ökologischer Perspektive andiskutieren. Vereinzelt wurde uns aber auch mit Skepsis gegenübergetreten („Seid ihr welche von diesen Klimaklebern?“) und einige Fahrer:innen wirkten durchaus zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und der Entlohnung, weshalb sie für einen Streik tendenziell nicht zu gewinnen sind. Nichtsdestotrotz waren viele der ÖPNV‑Beschäftigten, mit denen wir gesprochen haben, bereit sich nochmal mit uns zu treffen, um sich auszutauschen und für gemeinsame Aktionen im Rahmen der TV-N Kampagne in Kontakt zu bleiben.
Günstigere Tickets und viel Verständnis für die Kämpfe der Beschäftigten im ÖPNV: Die Perspektiven der Fahrgäste

Während der Fahrgästebefragung in Bussen, Bahnen und an Haltestellen haben wir verschiedene Eindrücke der Nutzer:innen gewinnen können. Die allermeisten wünschen sich günstigere Ticketpreise. Eine Nutzerin schlug vor, ein Pendlerticket einzuführen, das paritätisch von Arbeitgeber:innen und -nehmer:innen bezahlt werden soll: „Schließlich müsse man ja zur Arbeit kommen“. Vor allem für und von Kindern und Familien wurde sich eine günstigere Nutzung gewünscht. Einige der Fahrgäste haben sich bereits Gedanken über Arbeitsbedingungen der Fahrer:innen gemacht. Sie wussten zum Teil um den Personalmangel, die niedrigen Löhne und um die Arbeitsbelastung. Sogar das Konzept des geteilten Dienstes war manchen ein Begriff. Auf die Frage, wie man denn den Beruf des/der Bus- und Bahnfahrer:in attraktiver machen könnte, entgegneten viele, dass eine angemessene Bezahlung der erste Schritt sein müsse: „Wer so wenig bezahlt, braucht sich wirklich nicht zu wundern.“ Bei der Frage nach der Finanzierung des ÖPNVs äußerte die Mehrheit der Nutzer:innen, dass sie eine Ticketpreiserhöhung ablehnen und der Bund den ÖPNV stattdessen stärker bezuschussen müsste. Ein Nutzer schlug vor, die Kfz-Steuer deutlich zu erhöhen, um damit die Finanzierung des Nahverkehrs zu unterstützen. Einige zeigten auch Verständnis mit den Streiks im ÖPNV: „Das ist ihr gutes Recht“, „Irgendwas muss ja passieren“ und „Wenn die Regierung will, dass wir CO2 sparen, muss sie den ÖPNV eben auch ausfinanzieren!“ waren einige Aussagen, die wir dokumentieren konnten. Einige Schüler:innen haben uns aktiv angesprochen und wollten gerne befragt werden. Im Gespräch zeigte sich, dass sie nicht nur großes Interesse am Thema hatten, sondern auch über Aspekte der Arbeitsbedingungen gut Bescheid wussten („Die haben kaum noch Pause und können nur nach ihrer Schicht essen oder aufs Klo gehen“).
Trotzdem gab es auch andere Perspektiven auf die Legitimität bzw. Illegitimität des Streiks im ÖPNV: „Ja, ist ja nicht nur im ÖPNV so, sondern überall. Alle wollen doch höhere Löhne.“ Hier deutet sich ein gewisses Unverständnis gegenüber Streiks im ÖPNV an, die mit der Kritik verbunden wurde, dass die Beschäftigten damit angeblich versuchen würden, sich eine „Extrawurst“ zu sichern. Genau solche Gefühle der Resignation, Vereinzelung und Entsolidarisierung gilt es jedoch politisch einzuhegen. Denn das Problem schlechter (werdender) Arbeits- und Einkommensbedingungen sind nicht das Problem einzelner Arbeitgeber:innen oder Branchen, sondern es ist eines, dass alle betrifft, die nicht zu den „Glücklichen“ gehören, von Aktien, Immobilien, Erben und der Arbeit anderer ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Diese Erkenntnis sollte uns zu der Einsicht führen, dass wir uns über verschiedene Branchen und Beschäftigtengruppen hinweg nicht spalten lassen sollten, um uns stattdessen zusammenzutun. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sind überall berechtigt und benötigen unsere Solidarität.
Auf dem Weg zu einer sozial gerechten und ökologischen Mobilitätswende: Branchenübergreifende Solidarität, Konversion und Demokratisierung
Wir hoffen, mit den Ergebnissen, den Kolleg:innen der Jenaer Verkehrsbetriebe Material für die Verhandlungen im nächsten Jahr an die Hand geben zu können und gleichzeitig auch die Fahrgäste für die Legitimität des Arbeitskampfes im ÖPNV sensibilisieren zu können. Gleichzeitig ist es uns wichtig, die Perspektive der Beschäftigten dafür zu schärfen, dass eine echte ökologische Verkehrswende alle Mobilitätsbereiche betrifft. Das bedeutet eben auch die Kämpfe der Beschäftigten des Automobilzulieferers GKN von Florenz bis Zwickau zu unterstützen und für eine ökologische Konversion der Branche zu werben, auf die prekäre Situation der Beschäftigten beim Waggonbauer Alstrom in Henningsdorf, Bautzen und Görlitz aufmerksam zu machen, die sich seit Monaten im Abwehrkampf befinden und versuchen, die letzten Zug- und Bahnproduktionsbetriebe im Land zu erhalten; oder den Streik der EVG und den Beschäftigten im überregionalen öffentlichen Verkehr zu unterstützen. Auch hier braucht es vor allem eins: Branchenübergreifende Solidarität. Die Verbindung der Klimabewegung mit der (Streik-)Macht der Arbeiter:innen sollte über die einzelne Branchenbetroffenheit und Tarifkonflikte hinausgehen und alle gesellschaftlich relevanten Bereiche in den Blick nehmen. Für eine wirklich nachhaltige Verkehrswende, die nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, gilt es demnach mittelfristig im gemeinsamen Kampf neben den Beschäftigten im Nah- und Fernverkehr, auch die Arbeiter:innen in der Autoindustrie, im Waggon- und Schienenbau sowie in der Stahlindustrie zu erreichen. Während der Ausbau des ÖPNVs nicht auf dem Rücken der dort Beschäftigten ausgetragen werden darf, darf eine Verkehrswende ebenso wenig auf Kosten der Auto- oder Stahlbeschäftigten gehen. Diese haben nicht nur ein Recht auf Erwerbssicherheit, vielmehr brauchen wir sie, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen. Für die Verkehrswende sollten sie statt Benzin- oder E-Autos mehr Busse, mehr Bahnen, mehr Schienen und Anlagen für erneuerbare Energien produzieren dürfen (!). Dies erfordert jedoch einen demokratischen Umbau dieser Betriebe, in denen jetzt allein die Aktionäre und Investoren darüber entscheiden, was, wofür produziert wird und was mit den Jobs passiert.

Auf lange Sicht gesehen, gilt dasselbe für den sozialen und ökologischen Umbau der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. Solidarität und ein gemeinsamer Kampf der Mehrheit der Klasse der Lohnabhängigen sind Voraussetzung für eine soziale und ökologische Zukunft. Nur so können die Bevölkerungsmehrheiten organisiert werden, die es braucht, um dem Kapitalismus, der die Ursache für Ausbeutung und Umweltzerstörung ist, eine demokratische Macht der Vielen entgegenzustellen!